Regie Gian Manuel Rau Bühne Michel Schaltenbrand Kostüme Gwendolyn Jenkins Dramaturgie Kekke Schmidt Mit Helga Grimme, Benjamin Grüter, Bernhard Baier, Ernst Konarek, Katharina Ley

Staatstheater Stuttgart Premiere 9.Oktober 2004
Ansicht Bühne

«Der Vater ist als unsichtbares Zeichen stets präsent: Als kondensierter Ungeist aus Ampullen, die an einen Destillator angeschlossen sind, wabert er gleichsam über der gespenstischen Szenerie eines drehbaren Miniaturmodells einer nordischen Landschaft, sei es als sanfter Nieselregen von oben oder über eine Glasplatte als steter Tropfen, der keine Steine, sondern Gehirne höhlt und im Hintergrund auf einer Videowand in Maximalprojektion zu sehen ist. Im schnuckeligen Minimundus-Häuschen der Alvigs brennt noch Licht, aus dem Schornstein steigen sanfte Rauchzeichen auf: Pseudonaturalismus zwischen Illusion und Depression. Denn die erkalteten Seelen fürchten Dauerregen nicht minder als das Gleissen der Nachtsonne, welche die Lebenslüge an den Tag bringt. Die Sonne der Selbstgerechtigkeit aber sticht unbarmherzig in den zerklüfteten Seelenlandschaften eines Munch und Ibsen - dort, wo menschliche Liebe kaum je ein Herz zum Glühen zu bringen vermag. (...) Raus Inszenierung und fünf glänzende Schauspieler decken das ganze "Vorstrafenregister" bürgerlicher Lebenslügen schonungslos auf, lakonisch, ohne Häme: den Glauben an die Macht gesellschaftlicher Konventionen, die Selbstverkrümmungen unter dem Joch eigenverantworteter Unfreihet, Borniertheiten und Bigotterien - und in alledem eine unsagbare Angst vor dem Tribunal der öffentlichen Meinung. Auch diesen forensischen Aspekt des Familiendramas macht Raus Regie auf der variablen Bühne einsichtig. Wird sie um 180 Grad gedreht, erblickt man gewissermassen die öffentliche Kehrseite der gletscherglänzenden Innerlichkeitssymbolik: ein schmucklose Holzbrüstung, die an den cancellus eines Kirchenraums erinnert, aber ebenso gut aus einem Grichtssaal oder einem Kontor stammen könnte.»

Thomas Krazeisen, Esslinger Zeitung

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