Brecht erzählt von einer Welt zwischen Revolution und Romantik, zwischen Exzess und Expressivitöt, bevölkert von Zombies und Gespenstern. Anarchie, Alkohol und Aufruhr herrschen in Politik und Gefühlen. Korruption, Krieg und Konkurrenz zerstören Staat und Familie. Der Kriegsheimkehrer Kragler, seine Braut Anna, ihr Neuer Murk und die dazugehörigen Eltern und Kellner hetzen durch einen B-Movie. den Ed Wood und Fritz Lang gemeinsam entworfen haben könnten.
Regie Barbara Weber
Bühne Michel Schaltenbrand
Dramaturgie Miriam Ehlers
Mit Fabienne Hadorn, Martin Hug, Malika Khatir, Christoph Kopp, Beat Marti und Dominique Müller
Kampnagel Hamburg Premiere 24.Mai 2001
Theater Neumarkt, Zürich Premiere 17.April 2001
«Doch dann geht das Licht an, und wir sind mitten drin im Zimmer der
Familie Sternheim, sprich Balicke. Mama und Papa Spiesser - hie
Pantoffeln, da Schürze, hie Bierbauch, da Dutt (als etwas
überzeichnete Karikaturen Malika Khatir und Christoph Kopp) -
verhandeln die Haut ihres eigenen Fleisches und Blutes. Die Anna
soll, die Anna muss heiraten, und zwar den Murk. Denn wie man sich
bettet, so liegt man, und auf Schieber-Scheinen liegt es sich weich, so
weich. So weich wie auf einem Haufen Mist, aber Geld stinkt nicht.
Oder doch? Bertolt Brecht jedenfalls lässt das Mädchenherz zagen
und zaudern in seinem zweiten Stück, «Trommeln in der
Nacht» - dem ersten von ihm, das je aufgeführt wurde (1922) und
gleich den Kleist-Preis bekam. Was, wenn er wiederkommt, der
Verflossene, der Totgesagte, der Soldat? Alte Liebe rostet nicht.
Darum läuft Fabienne Hadorns Girlie-Anna mit dem
Haarklämmerchen in den roten Locken und dem rosa Kleidchen über
den Kniestrümpfen auch immerzu mit einem roten Kassettenrecorder
im Arm über die karge Bühne des Neumarkt-Theaters, unterm roten
Lampion-Mond hin und her irrend, statt Foto im Auge ein Fiepen im
Ohr, das einmal Flugzeuge im Bauch starten liess - damals, als dort
noch nicht Murks Kind strampelte. Erinnerung als hohlgeleierte
Gespensterstimme. Hohl und gespenstisch wie das Revolutiönchen,
das da irgendwo in der Ferne, in den Berliner Zeitungsvierteln,
trommelt: Eigentlich hatte Brecht seinen - gerade noch
expressionistischen - Fünfakter «Spartakus» nennen wollen.
Dass das Politische in den «Trommeln» bloss ein Traum war und
keiner, der dem jungen, sprachtrunkenen Brecht so recht vom Papier
auf die Bretter floss, hat sich die 1975 in Wattwil geborene
Jungregisseurin Barbara Weber zunutze gemacht. In ihrer
Diplom-Inszenierung am Institut für Theater und Film der Universität
Hamburg, mit der sie nun das Talentefestival Hope & Glory eröffnet
hat, setzt sie auf das, was später kommen wird: auf V-Effekt und
Flapsigkeiten, auf Pop und poplige Paraden, auf Gedudel und
Gekläff. Und auf Herzschmerz und Hochgefühl samt selbstironischem
Klampfen-Heididei - überzeugend vielseitig als musizierender Joker
mit wechselnden Rollen: Dominique Müller. Schrien einst in der
Uraufführung Plakate dem Publikum die Botschaft zu: «Glotzt nicht
so romantisch!», so schnippt es sich heute leichthin mit den Fingern
weg, das Illusionistische, Identifikatorische. Ein Schnipp, «Lumière!»,
der Spot scheint auf, ein Schnipp, «Manger!», und das Mahl fällt von
der Decke mitten auf den Tisch der guten Stube - in der das Böse nicht
fehlen darf: Das Kerzchen flackert, die Gardine flattert, der
Wiedergänger, der Heimkehrer geht um - als armes Schwein in
Mottenmantel und Jesuslatschen: Beat Marti.
Kurz, Barbara Weber, die sich im vergangenen Jahr schon an der
Winkelwiese durch einen Theaterabend («Freundinnen») trashte,
erledigt auch diesmal die dramatischen Das-ist-Theater-Dogma-95-
Winke buchstäblich im Handumdrehen. Und im Hausumdrehen: Da
wird, schlicht und einfach und einfach gut, das Zimmer - mal
Schuhschachtel von vorn, mal Kulissen-Skelett von hinten - zur Bar,
zur Gosse, zum Happy Home (Raum: Michel Schaltenbrand). Da
schieben die Schauspieler die Windmaschine herum, wuchten die
Beleuchtung auf die Schulter und wummern den Soundteppich dazu
gleich selbst. Nur ab und an verrutscht das Komisch-Verfremdende
ins Kalauer-Flache. Dennoch: Das Besondere dieser Aufführung ist
nicht das Ver-Spielte, sondern das Andere, das, was herausfällt aus
den - wenn auch gekonnten - Kinkerlitzchen über Wind und Nebel und
rote Monde und missglückte Menschheitsträume auf der Bühne. Die
«Sentimentalitäten» nämlich, über die sich Vater Balicke ereifert, die
aber Fabienne Hadorn, Beat Marti und auch Martin Hug als Murk die
Chance geben, aller Brüche zum Trotz, ein kleines bisschen Poesie zu
machen; Theater zu spielen.»